Mit seiner Oceano Azul Foundation und dem wegweisenden Oceanário de Lisboa setzt sich der portugiesische Manager und Aktivist José Soares dos Santos in Europa als treibende Kraft für den Schutz der Ozeane ein. Das LUX Magazine hat mit dem Philanthropen gesprochen und wollte wissen, wie er andere Philanthropen, Politiker, Wirtschaftsbosse und Wissenschaftler inspiriert, eine nachhaltigere Zukunft zu gestalten.
Wir stehen in der Verantwortung, besser für die Ozeane zu sorgen, denn die Ozeane sorgen auch für uns. Diese Aussage bringt auf den Punkt, warum der Meeresbiologe und lebenslange Meeresschutzaktivist José Soares dos Santos die Oceano Azul Foundation in Lissabon gründete, mit dem erklärten Ziel, Nachhaltigkeit „aus der Perspektive des Ozeans“ zu betrachten.
Ob es um gigantische Plastikmengen geht, die alle Meereslebewesen bedrohen, oder um nicht nachhaltigen Fischfang oder die Gefahren der klimakrisenbedingten Erwärmung und Versauerung der Meere, dos Santos weiß: Die marine Umwelt steht mehr denn je unter massiver Belastung. Dennoch fehlt das nötige, dieser Krise angemessene Maß an internationaler Aufmerksamkeit und Aktionsbereitschaft. Für Unternehmen, Investoren, Gesellschaft und Wissenschaft ist es also an der Zeit, sich zusammenzutun und die Botschaft in die Welt zu tragen.
„Fakt ist, der Planet ist ein System, und wenn wir nicht gut für das System sorgen, wird es künftig keine Unternehmen, keine Familien, kein richtiges Leben mehr geben, wie wir es bisher kannten“, warnt dos Santos. „Dies ist eine Verantwortung, die jetzt unser Handeln erfordert.“
Pedro Soares dos Santos gehört zur Führungsspitze einer der größten und erfolgreichsten Unternehmensgruppen Portugals, deren Lebensmitteleinzelhandels- und Distributionssparte Jerónimo Martins unter dem Vorsitz seines Bruders Pedro Soares dos Santos mit 115.000 Mitarbeitern und mehr als 4.400 Einzelhandelsgeschäften 2019 einen Umsatz von ca. EUR 19 Mrd. erwirtschaftete. Er nutzte daher seinen Unternehmergeist, sein Netzwerk sowie sein meeresbiologisches Hintergrundwissen und gründete 2014 zusammen mit einer Gruppe von Experten, Akademikern und Unternehmen die Oceano Azul Foundation.
„Mein Bruder und ich stehen an der Spitze unseres Familienkonzerns und bilden damit die vierte Generation einer sehr hart arbeitenden Familie“, erklärt dos Santos. „Wir können Kapital einsetzen und interessante, sehr gut informierte Menschen ins Boot holen. Wir haben die Mittel und – wie wir glauben – auch die Verpflichtung zu handeln.“
Warum konzentrieren wir uns auf die Ozeane? Sicherlich hat Portugal eine lange und illustre maritime Geschichte, aber was dos Santos wirklich antreibt, ist die Besorgnis über das fehlende öffentliche Bewusstsein für die lebenswichtige Rolle der Ozeane für den Erhalt des Lebens auf der Erde. Obwohl die Ozeane über 70 Prozent der Erdoberfläche bedecken, ist außerhalb der Wissenschaftswelt nur wenig über ihre Bedrohung bekannt. „Wir sprechen über die Ozeane, weil die Menschen großes Interesse dafür zeigen. Mir werden oft Fragen zu den Ozeanen gestellt, doch es erschüttert mich jedes Mal aufs Neue, wie wenig Wissen über sie vorhanden ist.“
Dos Santos weist darauf hin, dass die Ozeane nicht nur Heimat von 15 Prozent aller uns bekannten Lebewesen sind, sondern auch mehr als die Hälfte des weltweiten Sauerstoffs produzieren und langfristig 50-mal mehr Kohlendioxid aufnehmen können als die Atmosphäre. Sie fungieren auch als gigantische Wärmespeicher und können so die globale Erderwärmung verlangsamen. Ozeane sind eine wichtige Quelle für Nahrungsmittel, Ressourcen und Arbeitsplätze – die OECD prognostiziert für die Blue Economy 2030 ein Volumen von USD 3 Mrd., was einer Verdoppelung seit 2010 entspräche. Die Menschen sind zwar Landlebewesen, brauchen zum Leben aber gesunde, produktive und langfristig lebensfähige Ozeane.
In logischer Konsequenz gründete die Foundation deshalb ihre erfolgreiche Gemeinschaftsinitiative RISE UP – A Blue Call to Action, getragen von vielfältigen Akteuren wie lokalen Fischereigemeinschaften, Organisationen indigener Völker und Umweltschutzorganisationen wie Ocean Unite und Environmental Defense Fund. Die Agenda der Kampagne wurde im Mai 2019 gestartet und im Februar 2020 dem UN-Generalsekretär António Guterres präsentiert.
Dos Santos hatte eine genaue Vorstellung von Oceano Azul. Keine weitere politisch motivierte Interessengruppe sollte es sein, die nur ihre eigene, eng gefasste Agenda verfolgt, sondern eine Kooperationsplattform, die alle vereint: Meeresschützer, Wissenschaft, akademische Welt, Wirtschaft und Gesellschaft, z. B. in Form der RISE UP Kooperations- und Partnerschaftskampagne, mit über 400 Unterstützerorganisationen. „Wir müssen die Wissenschaft in der Foundation halten“, sagt dos Santos, „weil wir keine Politiker sind und nicht in die Politik driften dürfen. Wenn dies geschieht, unterscheiden wir uns in nichts von den vielen anderen Stiftungen und Interessengruppen. Davon gibt es bereits genug, die Welt braucht etwas anderes.“
Dos Santos‘ Standpunkt, dass der Aufbau einer starken und eigenständigen Meeresschutzkultur vorrangig von Unternehmen und privaten Investitionen getragen werden sollte, hebt den Nachhaltigkeitsansatz von Oceano Azul deutlich vom Mainstream ab. „Unsere Philosophie ist nicht, Geld zu spenden, sondern Geld zu investieren. Wir glauben, dass es zwar sehr wichtig ist, sich für den Planeten einzusetzen, aber dass wir dabei nicht alle Verantwortung an die Regierung abgeben dürfen“, betont dos Santos. „Ich finde es heuchlerisch, sich machtlos zu geben und zu behaupten, es sei Sache der Regierung, die Dinge zu verändern. Nein! Wir wählen die Regierung, und wir müssen sagen, was wir wollen.“
Oceano Azul ist auch Partner der Calouste Gulbenkian Foundation. Gemeinsam entwickeln sie das Blue Bio Value Business Programme, ein Accelerator-Programm, das neuen, nachhaltigen Geschäftsideen in der Blue Economy hilft, schneller und effektiver zu wachsen. Eine starke, dynamische Blue Economy schafft Arbeitsplätze und generiert Umsatz, der wiederum für den Meeresschutz eingesetzt werden kann. „Wir glauben daran, dass Investieren der richtige Weg ist, um Arbeitsplätze zu schaffen sowie geschäftlichen und gesellschaftlichen Mehrwert zu generieren“, bekräftigt dos Santos.
Blue Bio Value ist ein seit drei Jahren bestehendes Wachstumsprogramm für innovative, meeresbiologisch ausgerichtete Unternehmen. Bewerber für das Programm durchlaufen eine strenge Due-Diligence-Prüfung, für das beste oder die besten Start-ups ist ein Preisgeld von insgesamt EUR 45.000 vorgesehen sowie Coaching- und Mentoring-Services und wertvolle geschäftliche Networking-Möglichkeiten. Bis dato konnten 28 Unternehmen aus 15 Ländern an dem Programm teilnehmen, angefangen bei Biosolvit, einem Spezialisten für aus entsorgter Biomasse hergestellte Rückhalte- und Absorptionsmaterialien zur Bekämpfung der Folgen von Erdölunfällen auf See und an Land, bis hin zu SEAentia, einem Start-up für nachhaltige Aquakulturtechnologie.
Im Zentrum von dos Santos‘ Mission, mit besseren Informationen und Bildungsangeboten den Menschen die zentrale Bedeutung der Ozeane für einen gesunden Planeten zu vermitteln, steht das Oceanário de Lisboa. Das kürzlich erst renovierte Indoor-Ozeanarium ist das größte seiner Art in Europa und eine der Hauptattraktionen der Stadt. Es präsentiert ein eindrucksvolles Spektrum der marinen Tier- und Pflanzenwelt und lockte 2019 1,4 Millionen Besucher an.
„Das Oceanário de Lisboa steht im Zentrum unserer Arbeit“, erklärt er. „Es hat einen fantastischen Effekt auf die Menschen, die dort hineingehen. Sie blicken unter die Wasseroberfläche und erkennen: Der Ozean ist ein Ort voller Leben, für dessen Schutz wir eine Verantwortung tragen.“
„Der Ozean ist ein Ort voller Leben, für dessen Schutz wir eine Verantwortung tragen.“
José Soares dos Santos
Gründer der Oceano Azul Foundation
Über seine Funktion als Leiter der Oceano Azul Foundation hinaus ist dos Santos als Vorstandsmitglied auch im Konzern seiner Familie stark involviert. Seine feste Überzeugung, dass gerade die Privatwirtschaft einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt der Ozeane leisten kann, verwundert daher nicht. „Unternehmer können hier etwas bewegen“, so dos Santos. „Ich setze große Hoffnung in die Privatwirtschaft, denn sie hat eine langfristigere Perspektive als die Finanzmärkte.“ Er ist sehr darauf bedacht, die Bedeutung der Finanzmärkte nicht in Abrede zu stellen, weiß jedoch auch, dass die kurzfristigen Markterwartungen öffentlicher Unternehmen der langfristigen Nachhaltigkeitsperspektive entgegenstehen können. „Man braucht Mut, um das zu tun, denn kurzfristig ist es nicht immer gut für den eigenen Aktienkurs“, so dos Santos weiter.
Als Beispiel nennt er die Entscheidung seiner Familie für plastikfreie Lieferketten im gesamten Konzern. „Wir haben uns da auf eine gigantische Transformation eingelassen, die viel kosten und viele Jahre dauern wird.“ Für öffentliche Unternehmen wäre eine solche Entscheidung aufgrund der Komplexität nicht nur schwer umsetzbar, sondern auch gegenüber den an kurzfristiger Profitabilität interessierten Aktionären und Hedgefonds kaum durchzusetzen. Selbst wenn solche Unternehmen also das richtige tun wollen, werden sie laut dos Santos nicht dazu in der Lage sein.
Erfolgreiche private Familienunternehmen dagegen bauen oft auf langfristige Investitionsstrategien. Sie schätzen den Win-win-Charakter nachhaltiger Investitionen, oft fehlen ihnen dazu aber qualifizierte Informationen, wo investiert werden soll. Auch hier hat Oceano Azul eine Aufgabe zu erfüllen. „In unseren Gesprächen mit Privatunternehmen sehen wir deutlich ihre Sorge, aber auch ihre Ratlosigkeit, was zu tun sei. Und genau hier müssen wir ihnen die Hand reichen. Es genügt nicht, sich hinzustellen und das Problem zu erklären, man muss auch die Instrumente zu seiner Lösung liefern.“
Laut dos Santos ist es deshalb entscheidend, den richtigen Rahmen für nachhaltige Blue-Economy-Investitionen zu schaffen. Ein Beispiel dafür, wie dies gelingen kann, ist das von der Oceano Azul Foundation initiierte Programm Blue Azores. Die atlantische Inselgruppe der Azoren, eine autonome Region Portugals, beherbergt eine enorme Vielfalt mariner Lebensräume und Ökosysteme, die stark bedroht sind. In Partnerschaft mit der Regionalregierung der Azoren und der Waitt Foundation führte Oceano Azul zwei Forschungsexpeditionen durch. Daraus folgte im Februar 2019 die Unterzeichnung einer Absichtserklärung zum Schutz und Erhalt dieser Lebensräume und zur nachhaltigen Ressourcen- und Fischereientwicklung in der Region.
Auf Grundlage dieser Erklärung wurden bereits 15 Prozent der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Azoren vollständig als Meeresschutzgebiet ausgewiesen, mit umfangreichen Plänen für eine anschließende nachhaltige Ressourcen- und Fischereientwicklung innerhalb der Zone – in Übereinstimmung mit den Zielen der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung.
Dos Santos zufolge ist Blue Azores ein wunderbares Beispiel dafür, was im Zusammenspiel von Regierung, Gesellschaft und Unternehmensinvestitionen erreicht werden kann. „Glücklicherweise ist sich die staatliche Führung[CH1] der Azoren der Notwendigkeit bewusst, über ihre Amtszeit hinausgehende politische Entscheidungen zu treffen. Das macht die Azoren zu einem guten Investitionsziel mit speziellen Programmen und messbarem Erfolg, den man mit eigenen Augen sehen kann. So wird nicht nur der Fischerei, sondern auch dem Meeresschutz geholfen.“
Genau hier, in dieser Win-Win-Situation, liegt für dos Santos der Schlüssel zu einer besseren, verständlicheren und belastbareren Strategie für Meeresschutz und -entwicklung. Eine große Aufgabe, die er für sehr gut lösbar hält, und dies sogar schneller als zu erwarten. „Ich traue der Menschheit zu, dass sie unter den richtigen Voraussetzungen in der Lage ist, Außergewöhnliches zu erreichen und sich wirklich für den Planeten einzusetzen.“
Oceanário de Lisboa
1998 eröffnet und konzipiert vom Architekten des Osaka Aquarium, Peter Chermayeff, beherbergt das spektakuläre Oceanário de Lisboa rund 16.000 Meeresorganismen, die 450 Spezies aus aller Welt repräsentieren. Hauptattraktion ist ein gigantisches, fünf Millionen Liter Meerwasser fassendes Aquarium, in dem rund 100 Spezies – u. a. Haie, Rochen und ein riesiger Mondfisch – unter naturnahen Bedingungen leben.
Das Oceanário de Lisboa ist auch ein Stützpunkt von Expertenteams für Bildung und Meeresschutz, darunter mehr als 30 hochqualifizierte Meeresbiologen. Ihre breit angelegten Bildungsprogramme erreichen jährlich mehr als 100.000 Schüler.
Dieser Artikel erschien erstmalig in der Herbstausgabe 2020 des LUX Magazine. Der Artikel erscheint in der zweiten Ausgabe einer Beilagenreihe von Deutsche Bank Wealth Management/LUX über unsere Ozeane und deren Bedeutung für das Wohl von Umwelt und Wirtschaft.