Lässt sich die Macht der Finanzmärkte für den Umweltschutz nutzen, z. B. für den Erhalt der Ozeane? Das LUX Magazine spricht mit Jörg Eigendorf, Leiter Kommunikation, Soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit der Deutsche Bank AG, über die einzigartige Rolle, die Banken bei der Schaffung von Anreizen für nachhaltige Investments und einen nachhaltigen Konsum spielen können.
LUX: Nachhaltigkeit ist im Geschäftsleben häufig nur ein leeres Wort. Wie lässt es sich mit Bedeutung füllen?
Jörg Eigendorf: Einfach gesagt muss man als Unternehmen zeigen, dass man seine Wertschöpfungskette in all ihren Teilen nachhaltig gestalten will. Wir bei der Deutschen Bank haben uns 2007 vorgenommen, kohlenstoffneutral zu werden. Dieses Ziel haben wir 2012 zwar erreicht, aber seitdem arbeiten wir kontinuierlich daran, unseren Energieverbrauch sowie unseren Verbrauch an Wasser, Papier und anderen Ressourcen zu senken. In diesem Jahr schließlich haben wir uns zum Ziel gesetzt, unseren gesamten Stromverbrauch bis 2025 aus erneuerbaren Quellen zu bestreiten.. Aber dies ist nur der kleinere Teil. Banken tragen auch dadurch Verantwortung, dass sie andere Formen der Geschäftstätigkeit ermöglichen und fördern, die selbst wieder einen positiven oder negativen Einfluss auf die Welt haben können. An dieser Stelle kommen die so genannten ESG-Grundsätze und Verfahrensweisen (Environmental, Social and Governance; Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) ins Spiel.
LUX: ESG-Investing ist gerade in Mode. Was macht es zu mehr als nur einem fachspezifischen Begriff?
JE: Es ist bereits jetzt mehr als ein neuer Fachbegriff. Es ist ein Konzept, das in den letzten Jahren aus seiner Nische den Sprung in den Mainstream geschafft hat. Investoren möchten zunehmend sicherstellen, dass mit ihrem Geld Unternehmen unterstützt werden, die auf Nachhaltigkeit bedacht sind. ESG gibt ihnen die Möglichkeit, Investments auf Grundlage von Faktoren zu vergleichen und gegenüberzustellen, die zwar über die finanzielle Performance hinausgehen, diese jedoch nicht opfern. Dieser Ansatz hat durchaus das Potenzial, das gesamte Wirtschaftssystem auf positive Weise zu transformieren. Aus diesem Grund sind wir zuversichtlich, dass wir unser Volumen an nachhaltigen Finanzierungen plus unseren Bestand an ESG-Investments bis 2025 auf über EUR 200 Mrd. steigern können und auf diese Weise unseren Teil zur dynamischen Entwicklung in diesem Bereich beitragen werden.
LUX: Kann ESG wirklich Anreize für besseres Verhalten im privaten Sektor schaffen?
JE: Ich werde Ihnen ein praktisches Beispiel geben. In Singapur haben wir einem Agrarunternehmen gerade einen an Nachhaltigkeit geknüpften Kredit in Höhe von USD 25 Mio. bereitgestellt. Wenn das Unternehmen über die dreijährige Laufzeit des Kredits eine Reihe vereinbarter Nachhaltigkeitsziele erreicht und dies von einem externen Prüfer verifiziert wird, sinkt der zu zahlende Zinssatz, ansonsten wird er höher. Eine solche Innovation liefert ein hervorragendes Beispiel und zeigt, wie wir Anreize für Unternehmen schaffen können, in stärkerem Maße nachhaltig zu wirtschaften. Natürlich, Fortschritt ist oft relativ, und in einigen Branchen können wir nur immer wieder versuchen, die Dinge besser zu machen als sie vorher waren. Wir können den Einsatz fossiler Brennstoffe nicht über Nacht stoppen, weil wir noch nicht die Mittel haben, sie komplett zu ersetzen. Trotzdem müssen wir den Wandel fördern und vorantreiben. In den fast fünf Jahren, in denen ich jetzt bei der Deutschen Bank bin, ist mir klar geworden, wie wichtig Banken für diesen Transformationsprozess sind, und dass wir einen großen Hebel in der Hand haben, mit dem wir einiges bewirken können.
LUX: Was sind die größten Herausforderungen, mit denen man sich bei der Einbindung von Nachhaltigkeit in Finanzprodukte und -dienstleistungen konfrontiert sieht?
JE: Die größte ist wahrscheinlich die Asset Origination, d. h. der Prozess der Ermittlung und des Erwerbs von Investments, die neben traditionellem Nutzen wie Kapitalwachstum auch ESG-bezogenen Nutzen bieten. Am Anfang steht dabei die Frage: Was ist nachhaltig? Aus diesem Grund haben wir gerade unser Rahmenwerk für nachhaltige Finanzierungen veröffentlicht, das eng mit der neuen EU-Taxonomie zu Finanzdienstleistungen abgestimmt ist. Wir brauchen diese Transparenz, um sowohl unseren Geschäftseinheiten als auch Investoren eine gewisse Sicherheit in Zeiten zu geben, in denen die Nachfrage nach ESG-Produkten sowohl durch private Investoren als auch durch Institutionen das Angebot übersteigt. Trotzdem ist es weiterhin schwierig festzustellen, ob eine bestimmte Anlage bestimmte ESG-Kriterien erfüllt. Es gibt nicht genug Daten, keine ausreichende Klarheit und nicht genug Konsistenz in Bezug auf die Art und Weise, wie ESG-Kriterien definiert und verglichen werden. Aus diesem Grund helfen wir bei der Ausarbeitung branchenweiter ESG-Standards. So arbeiten wir z. B. in verschiedenen Initiativen mit, um ein Rahmenwerk zu entwickeln, mit dem sich ESG-Produkte vergleichen und gegenüberstellen lassen.
„Ich glaube, dass wir zu der alten, ineffizienteren Welt wahrscheinlich nicht mehr zurückkehren werden.“
Jörg Eigendorf, Leiter Kommunikation, Soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit der Deutsche Bank AG
LUX: Welche ESG-bezogenen Themen und Aspekte liegen Ihnen persönlich besonders am Herzen?
JE: Mich persönlich treibt besonders der übermäßige Verbrauch natürlicher Ressourcen um. Und die Art und Weise, wie wir mit den Tieren umgehen. Wir essen diesen Planeten buchstäblich auf, damit sollten wir aufhören. Jeder Deutsche verzehrt pro Jahr im Durchschnitt 61 kg Fleisch, und das damit verbundene Leid lässt sich nicht in Worte fassen. Die DNA von Schweinen ist der des Menschen recht ähnlich. Sie haben Gefühle genau wie wir. Meiner Ansicht nach kann es deshalb nicht richtig sein, dass wir sie als reine Handelsware betrachten. Die Fleischproduktion trägt in beträchtlichem Maße zum Klimawandel bei. So werden z. B. in Lateinamerika Regenwälder abgeholzt, um Weideland für Rinder zu schaffen. Besonders am Herzen liegt mir auch der Erhalt der Ozeane. Marine Ökosysteme sind für die Welt und das Klima von entscheidender Bedeutung, wir können deshalb einfach nicht riskieren, dass sie zusammenbrechen. All dies sind Aspekte, bei denen es um das Überleben der Menschheit als Ganzes geht.
LUX: Wie sieht die Zukunft für ESG aus?
JE: ESG ist bereits Mainstream und wird jeden Tag wichtiger. Die Covid-19-Krise ist zwar in vielerlei Hinsicht schrecklich, führt uns jedoch auch vor Augen, was sich ändern muss. Plötzlich sind wir uns unserer Umwelt stärker bewusst. Wir realisieren, dass wir nicht den ganzen Tag unterwegs sein und hierhin und dorthin reisen müssen. In vielen Fällen ist eine Videokonferenz vollkommen ausreichend. Diese Krise wird Verhaltensänderungen und kreative Lösungen nach sich ziehen, davon bin ich überzeugt. Und ich glaube außerdem, dass wir als Ergebnis wahrscheinlich nicht mehr zu der alten ineffizienteren Welt zurückkehren werden. Gleichzeitig wird ein größeres Bewusstsein für ESG-bezogenes Investieren einen positiven Kreislauf in Gang setzen, bei dem wirtschaftliches Wachstum mit dem Schutz der Umwelt gekoppelt ist – vorausgesetzt, wir in der Finanzbranche tragen unseren Teil dazu bei, die Entwicklung von ESG-Standards und -Lösungen an vorderster Front voranzutreiben. Unsere Kunden und Investoren drängen uns, besser zu werden. Diesem Ansinnen stehen wir sehr aufgeschlossen gegenüber. Es muss Einvernehmen darüber geben, den Wandel voranzutreiben.
Dieser Artikel erschien erstmalig in der Herbstausgabe 2020 des LUX Magazine. Der Artikel erscheint in der zweiten Ausgabe einer Beilagenreihe von Deutsche Bank Wealth Management/LUX über unsere Ozeane und deren Bedeutung für das Wohl von Umwelt und Wirtschaft.