Die anhaltende Klimakrise, der Verlust von Biodiversität und die Zerstörung von Ökosystemen bilden zusammen die größte soziale Herausforderung der Menschheit.
Nachhaltigkeitsthemen und -definitionen stehen heutzutage in so großer Vielfalt ganz oben auf der wirtschaftlichen und politischen Agenda, dass es oft schwerfällt, die für eine echte nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft entscheidenden Aspekte im Blick zu behalten. Unbedingt zu vermeiden sind jedoch Entwicklungen, die zu Ungerechtigkeiten führen könnten. Diskussionen über Ethik und Moral nehmen aktuell deutlich zu. Doch über die Frage nach inklusivem Wachstum muss im Kontext politischer Teilhabe für alle diskutiert werden – nicht nur innerhalb der eigenen politischen Gesellschaft, sondern auch universell.1 Betrachten wir in diesem Zusammenhang die ESG-Kriterien, wird schnell klar, dass ihre Einhaltung nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale Aufgabe ist. Anhand der ESG-Kriterien können wir unser Handeln als Individuen, als Unternehmen und als Gesellschaft kritisch hinterfragen. Aus dieser Perspektive bilden die anhaltende Klimakrise, der Verlust von Biodiversität und die Zerstörung von Ökosystemen zusammen als sogenannte dreifache planetare Krise die größte soziale (wie auch wirtschaftliche und ökologische) Herausforderung der Menschheit. Unsere Abhängigkeit von dem, was wir aus der Natur gewinnen, macht unsere Situation noch schwieriger: Einerseits sind wir dringend auf die Leistungen oder Dienstleistungen der Natur angewiesen, andererseits sind wir es auch, die ebendiese zerstören.
In Ländern mit niedrigem Einkommen haben die Umweltzerstörungen neben der sichtbaren auch kaum sichtbare Folgen, und deren Verknüpfung mit sozialer Ungerechtigkeit ist besonders schmerzhaft. Nicht selten werden dort Flüsse und deren Umgebung ungehindert verschmutzt und die Lebensgrundlagen durch Industrieanlagen vergiftet. Den Preis dafür bezahlen oft arme Bevölkerungsgruppen, die von höheren Krebsraten, Fehlbildungen Neugeborener oder anderen gesundheitlichen Folgen betroffen sind. Und laufend kommen weitere Bedrohungen hinzu. Ein Beispiel sind Dürreperioden, die zu einer enormen Belastung der Süßwasserreserven2 der Erde führen; ein weiteres die Lebensmittelsicherheit, die ebenfalls ein gravierendes Problem darstellt.3 Tatsächlich bleibt die Ungleichheit sowohl in Ländern mit hohen als auch in Ländern mit niedrigen Einkommen ein schwerwiegender destruktiver Faktor, obwohl Produktion und Wohlstand weltweit zunehmen.
Wir brauchen wirtschaftliche Aktivität, doch sie muss genauer durchdacht werden. Das ESG-Konzept kann uns dabei helfen. Die Frage der sozialen Ungerechtigkeit betrifft alle Regierungen, auch wenn die individuellen und gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen je nach Entwicklungsstand eines Landes unterschiedlich ausfallen sollten. Ob wirtschaftliche Entwicklung dem Individuum und der Gesellschaft nutzt, hängt davon ab, welche Regeln wir für unsere Entwicklungsstrategie aufstellen. Doch jede Entscheidung, die wir bezüglich solcher Regeln treffen, hat ihre Grenzen. Insbesondere gilt dies dann, wenn regulative Entscheidungen in Krisensituationen getroffen werden müssen oder im Kontext einer Pfadabhängigkeit (d. h., wenn die Entscheidungsmöglichkeiten historisch bedingt eingeschränkt sind, typisch etwa für die sozioökonomische Entwicklung).
Dies führt uns zu einer zentralen Frage: Wann ist ein Individuum in der Lage, für sich selbst eine Entscheidung zu treffen, die auch den Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht? Wir sprechen hier über das, was Hannah Arendt „die Freiheit, frei zu sein“ nannte. Die Idee des inklusiven Wachstums war bereits Mitte des 19. Jahrhunderts von Relevanz und ist heute wichtiger denn je.
Die Bedeutung sozialer Faktoren für das wirtschaftliche Wachstum ist mittlerweile vielfach wissenschaftlich belegt und kann deshalb als zentraler Faktor bei der Konzeption einer nachhaltigen Gesellschaft der Zukunft nicht ignoriert werden. Allerdings müssen bei Reformen und Anpassungen immer auch die sozioökonomischen Realitäten in unseren Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden.
Um eine sozial inklusive Marktwirtschaft zu schaffen, darf nicht allein die Verteilungsgerechtigkeit im Fokus stehen (d. h. die gesellschaftsweite gerechte Verteilung von Nutzen und Lasten). Vielmehr sollte die beitragende Gerechtigkeit in den Blick genommen werden (d. h. die faire Verteilung von Arbeit, wie der Philosoph Michael Sandel sagt, um den „Kreislauf der Ungerechtigkeit“ zu durchbrechen).4 Hier spielt Diversität eine wichtige Rolle. Die Vielzahl der gesellschaftlichen Normen, Gepflogenheiten und ethischen Grundsätze kann technologische Innovationen befördern sowie zur Verbreitung und Förderung neuer Ideen und zur Verbesserung von Waren und Dienstleistungen auf der Makroebene beitragen.5
Und auch hier sehen wir wieder: Entscheidend ist das Erkennen, welche Voraussetzungen es braucht, damit unsere Gesellschaft zu einer wirklich gerechten nachhaltigen Entwicklung findet. Die Entscheidung einer Gesellschaft ist letztlich ein Aggregat aus den Entscheidungen all ihrer Einzelkomponenten, doch ist es schwierig, dieser Art der Entscheidungsfindung einen tragfähigen Rahmen zu geben. Daher müssen Entwicklungsentscheidungen immer in der Perspektive getroffen werden, dass Gerechtigkeit erzielt wird. Doch wie genau soll diese Gerechtigkeit aussehen?
Hier schließe ich mich Adam Smith6 und einigen modernen Gelehrten wie dem Wirtschaftswissenschaftler und Philosophen Amartya Sen an: Zunächst sollten wir akzeptieren, dass „Gerechtigkeit“ nicht als ein Problem, sondern vielmehr als mehrdimensionaler Problemkomplex zu sehen ist. Gerechtigkeit ist dann erreicht, wenn sie von externer, unabhängiger Stelle bestätigt wird. Dies könnte ein erster Schritt sein, um den Kreislauf der Ungerechtigkeit zu durchbrechen.
Quellen:
1) „Ethics and Morals in an Economy – COVID-19 and Learning from the Past“, Global Policy Journal
2) „Water scarcity“, Unicef
3) „Food Justice Impacts Who Eats and Who Thrives“, Shondaland
4) „Platform Thinking – Justice, Competition and the Time Dimension“, Global Policy Journal
5) „Cultural heterogeneity and economic development“, VoxEU
6) „Adam Smith’s view of man“, JSTOR