Der Frühling steht vor der Tür – zumindest in der nördlichen Hemisphäre. Vor allem nach einem schweren Winter bringen Licht und Wärme häufig einen natürlichen Optimismus mit sich. Mithin befördert die Wirtschaftsund Finanzsprache diesen saisonalen Optimismus selbst, indem sie etwa von den „grünen Trieben“ des Aufschwungs spricht.
Gleichwohl haben die jüngsten Ereignisse gezeigt, dass wir uns weiterhin in einem sehr herausfordernden Anlageumfeld befinden, das zu vorsichtigem Handeln gemahnt. Inflation, die Reaktion der Notenbanken sowie die Folgen für Wirtschaft und Unternehmen spielen weiterhin eine entscheidende Rolle. Selbst nach den jüngsten Rückschlägen an den Finanzmärkten gehen die aktuellen Bewertungen insgeheim noch davon aus, dass eine „harte Landung“ der Wirtschaft verhindert werden kann – mit anderen Worten: dass die Fed und andere Notenbanken eine angemessene Geldpolitik wählen, die straff genug ist, um Volkswirtschaften abzukühlen, ohne sie in eine Rezession zu treiben oder wichtige Wirtschaftszweige abzuwürgen.
Trotz ihres Wissens und Könnens kann es jedoch passieren, dass die Zentralbanken daran scheitern, diesen schmalen Grat zu treffen. Die hartnäckige Inflation in großen Volkswirtschaften zu Beginn von 2023 und die jüngste Verschlechterung der finanziellen Rahmenbedingungen erschweren ihnen ihre Aufgabe nun zusätzlich. Angesichts dieser Faktoren stellen sich die drei bereits bestehenden Fragen zur Geldpolitik umso dringlicher. Erstens: Welches Ausmaß werden die Folgen der geldpolitischen Straffung haben? Zweitens: Wie schnell werden diese Folgen eintreten? Und drittens: Kann dieser Prozess mit den vorhandenen Strukturen gesteuert werden?
Viele Faktoren sprechen noch immer dafür, dass die Zentralbanken an ihrer straffen Geldpolitik festhalten werden, um die anhaltend hohe Kerninflation zu senken. Inzwischen geht man allgemein davon aus, dass eine geldpolitische Straffung in einem bestimmten Ausmaß heute weniger Wirkung zeigt als in früheren Finanzzyklen: Die nach wie vor starken Arbeitsmärkte könnten die Wirkung ebenso verzögern wie die nachwirkenden Effekte der Konjunkturpakete, die während der Corona-Pandemie geschnürt wurden. Auch stellen sich weiterhin technische Fragen bezüglich künftiger Anpassungen der geldpolitischen Ansätze und Strukturen, bei denen die japanische Zentralbank vorangehen könnte.
Letztlich dürften sich die Zentralbanken jedoch behaupten: Laut unserer Prognose wird die Inflation im Laufe des kommenden Jahres zurückgehen, allerdings weiterhin über den Zielwerten bleiben. Unser Basisszenario geht davon aus, dass die Leitzinsen der Fed und EZB sehr bald ihr „endgültiges“ Niveau erreicht haben werden. Jüngste Markterwartungen, denen zufolge die Fed infolge der Notlage regionaler US-Banken und der damit verbundenen Sorgen über die Marktliquidität die Zinsen in der zweiten Hälfte von 2023 senken könnte, wirken indes überzogen. Wir sehen kein systemisches Risiko angesichts der bis dato entschiedenen Reaktion der Fed sowie der robusten Maßnahmen, die in der Eurozone bereits im Zuge früherer Finanzkrisen eingeführt wurden.
Dennoch könnten die Finanzmärkte zögerlich bleiben. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Zinszyklus beherrschbar ist, werden riskantere Unternehmensanleihen aufgrund des höheren Ertragspotenzials weiterhin im Fokus stehen, obgleich wir nicht mit deutlich steigenden Spreads rechnen. Aktien werden in den kommenden zwölf Monaten voraussichtlich nur moderat zulegen.