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Zusammenfassung
Unser neuestes CIO-Special befasst sich mit wahrscheinlichen zukünftigen Trends bei der ESG-Bewertung und warum Biodiversität eine immer wichtigere Überlegung hierbei sein wird.
Zu den behandelten Themen gehören:
- Aktuelle Probleme bei der ESG-Bewertung und Bewertung der Nachhaltigkeit
- Die Auswirkungen von Unternehmen auf Ökosysteme und die verschiedenen Arten von naturbedingten Risiken
- Die „doppelte Wesentlichkeit“ des Naturverlusts und wie wir seine Auswirkungen messen können
- Das grüne Paradoxon und der Sprung zu einem nachhaltigen Wachstumspfad
Einleitung
ESG ist ein Begriff, der sich in den letzten Jahren zunehmend etabliert hat. Doch worum
geht es genau beim ESG-Investing? ESG-Investing ist die bewusste Entscheidung,
Nachhaltigkeitskriterien in den Bereichen Umwelt (Environment, E), Soziales (Social, S) und
Unternehmensführung (Governance, G) im Rahmen des Anlageprozesses zu berücksichtigen.
Mit einem Anteil von 36% am weltweit insgesamt verwalteten Fondsvermögen kann gesagt
werden, dass ESG-Investing zum Mainstream geworden ist.1 Während das ESG-Konzept
die oben genannten drei Säulen der heutigen Ökonomie in den Mittelpunkt stellt, wird der
Übergang zu vollständig nachhaltigen Geschäftspraktiken jedoch einen noch breiter gefassten
Ansatz erfordern, um sicherzustellen, dass wir die Gesundheit unseres Planeten für kommende
Generationen erhalten können (siehe Abbildung 1).
Die Berücksichtigung von ESG-Kriterien birgt potenzielle Herausforderungen, aber auch
Chancen. In der traditionellen Kapitalmarkttheorie wird angenommen, dass die Preise an den
Finanzmärkten sämtliche verfügbaren Informationen vollständig abbilden. Die zunehmenden
Informationsflüsse (vor allem wenn dadurch eine „Informationsasymmetrie“ entsteht, d. h. ein
Marktteilnehmer über mehr Informationen verfügt als der andere) können zu Unruhen führen, was
häufig mit einer höheren Volatilität und einer erhöhten Spekulationsgefahr einhergeht. Nach der
verhaltensorientierten Finanztheorie (Behavioural Finance) und verwandten Modellen unterliegt
die traditionelle Anlagetheorie Grenzen.
Dass ESG-Kriterien nun bei Anlageentscheidungen berücksichtigt werden, hat auch dazu
beigetragen, die Annahme zu widerlegen, dass ESG mit niedrigeren Ertragserwartungen und
höherem Risiko (d. h. Volatilität) verbunden ist. Dies könnte möglicherweise daran liegen, dass
der ursprüngliche Schwerpunkt auf den Ausschluss von sogenannten „moralisch verwerflichen
Aktien“ in der Vergangenheit inzwischen durch vielfältigere und anspruchsvollere Ansätze ersetzt
wurde. Heute wissen wir, dass sich ESG-Strategien in Krisenzeiten als resilient erweisen, und zwar
sowohl auf kurzfristiger als auch langfristiger Sicht.
Im Zusammenhang mit der Berücksichtigung des Einsatzes von natürlichen Ressourcen
sind die Auswirkungen unseres wirtschaftlichen Handelns auf die Umwelt, insbesondere
auf die Artenvielfalt unseres Planeten, zu berücksichtigen. Mit anderen Worten: Wir
müssen über Biodiversität sprechen. Die Beurteilung des Biodiversitätsverlusts, ein immer
wichtigerer ESG-Aspekt, könnte sich stärker auf die bestehenden Mängel des ESGKonzeptes
konzentrieren und auch einige Lösungen hervorbringen. Durch die Zerstörung
von Biodiversität (Biodiversitätsverlust) entstehen auf unterschiedliche Art und im Verlauf
der Zeit für alle Unternehmen und Branchen Risiken (physische Risiken, Übergangsrisiken
und Haftungsrisiken). Somit muss im Rahmen der Beurteilung von ESG-Investitionen der
gesamte (Produkt-)Lebenszyklus sowie die gesamte Lieferkette eines Unternehmens betrachtet
werden. Eine erfolgreiche ESG-Analyse würde hier zu einer Verbesserung der qualitativen
Anlageempfehlungen und Anlageentscheidungen beitragen. Dieser Bericht konzentriert sich
darauf, wie sich dies umsetzen lässt und wie sich dabei gleichzeitig naturbedingte Risiken in die
Entscheidungsfindung integrieren lassen. Allerdings drehen sich ESG-bezogene Diskussionen
meist immer noch um grundlegende Fragen, die sich mit ESG als Anlagekonzept beschäftigen.
Wenngleich sich die Wahrnehmung von ESG in letzter Zeit deutlich verändert hat, wird unter den
Anlegern immer noch zu selten über eine Ausweitung des Spektrums von ESG diskutiert.
Derzeitige Wahrnehmung von ESG
Anleger berücksichtigen ESG-Kriterien in ihren Anlageentscheidungen aus unterschiedlichen
Gründen. Zu den wichtigsten gehören gesellschaftliche Erwartungen (z. B. die messbaren
Auswirkungen auf Risiken), regulatorische Anforderungen und persönliche Überzeugungen. Aus
Anlegersicht lässt sich festhalten, dass ESG als Antwort auf die fundamentalen Veränderungen
in der Gesellschaft, der Regulatorik und den persönlichen Überzeugungen, die wir in den letzten
Jahren beobachtet haben, wahrgenommen wird. Allerdings ist ESG grundlegend betrachtet
immer noch ein Anlagekonzept. Das bedeutet, dass „traditionelle“ Maßstäbe (z. B. Rendite und
Risiko) nach wie vor wichtig sind.
Herausforderungen bei der ESG-Bewertung
Eine der wesentlichen Voraussetzungen für ESG-Investitionen sind Daten. Es gibt eine Reihe von
spezialisierten Anbietern, die Tausende von Datenpunkten zu ESG-Faktoren zusammenführen
und analysieren und häufig ESG-Ratings oder -Scores erstellen, um Unternehmen vor dem
Hintergrund von ESG-Kriterien mit anderen Unternehmen in ihrem Sektor zu vergleichen. Dabei
analysieren sie veröffentlichte Daten oder formulieren Erwartungen für gegenwärtige und
zukünftige Prognosen.
Biodiversität schafft neue Chancen
Das Problembewusstsein für den Verlusts der biologischen Vielfalt wächst, aber das Thema
verdient noch viel mehr Aufmerksamkeit. Die Unternehmen von heute verlassen sich nach wie
vor auf natürliche Ressourcen und beeinflussen somit gleichzeitig unsere Ökosysteme. Obwohl
Ökosystemdienstleistungen von entscheidender Bedeutung für die Produktion von Gütern
und Dienstleistungen sind, wird ihr Wert meist nicht anerkannt. Wie die Forschung zeigt, sind
viele Branchen und Sektoren durch Risiken im Zusammenhang mit Biodiversität gefährdet.
So scheinen etwa 38% der großen börsennotierten Unternehmen zumindest teilweise vom
Verlust von Lebensräumen betroffen zu sein (Stichprobengröße: 5.300 Unternehmen). Aber
die Anleger tun sich möglicherweise nach wie vor schwer damit, Biodiversität in ihre ESGStrategie
einzubeziehen. In unserer Umfrage von 2021 stimmten beispielsweise nur 23% der
KMU und Großunternehmen voll und ganz zu, dass sie das Thema Biodiversität in ihrer Strategie
berücksichtigen.
Das grüne Paradoxon
Das grüne Paradoxon beschreibt die Möglichkeit, dass von klima- oder anderen umweltbezogenen
Maßnahmen unerwünschte Effekte ausgehen können. Die Sorge besteht darin, dass die
Maßnahmen, die wir zur Senkung der CO2-Emissionen ergreifen, das Gegenteil bewirken könnten.
Dies könnte unter anderem dadurch geschehen, dass die Lieferanten fossiler Ressourcen ihre
Förderung ausweiten, da sie aufgrund angekündigter Regulierungsmaßnahmen mit niedrigeren
Preisen in der Zukunft rechnen, wodurch die CO2-Emissionen steigen. Die Existenz des grünen
Paradoxons zur Folge, dass die Interessen und möglichen Reaktionen der Lieferanten fossiler
Ressourcen berücksichtigt werden müssen, wenn die Regierungen klima- oder umweltbezogene
Maßnahmen festlegt.
Fazit
Die Integration von Biodiversität in ESG-Bewertungen erfordert eine beträchtliche Erweiterung
des ESG-Konzepts und begünstigt somit entscheidende Veränderungen hin zu einer nachhaltigen
Wirtschaft. Das betrifft nicht nur die Säule „E“ (Umwelt); Biodiversität hat auch für die Säulen „G“
(Governance) und „S“ (Soziales) eine große Bedeutung.
Dieser Integrationsprozess besteht aus mehreren Elementen. So kann beispielsweise der für die
Wesentlichkeitskarte (materiality map) des Sustainability Accounting Standards Board (SASB)
verwendet werden, um die Sektoren zu ermitteln, für die biologische Vielfalt von finanzieller
Bedeutung sein kann. Durch die Verwendung von Biodiversität als Filter beim negativen
Screening könnten Unternehmen ausgeschlossen werden, die Kontroversen über die biologische
Vielfalt ausgesetzt sind.
Ein richtiger Übergang hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft ist von hoher Bedeutung und
weist nachdrücklich auf die Integration von Biodiversität in das ESG-Konzept hin. Ein besseres
Verständnis der Daten rund um Biodiversität sollte den politischen Entscheidungsträgern auch
dabei helfen, eine Reihe von Kipppunkten zu überwinden, um den besten Weg zu einer ökologisch
verantwortungsvollen Wirtschaft zu finden, die den Wert der natürlichen Ressourcen anerkennt.
Bereits heute ermöglicht ESG Finanzanalysen auf einer viel detaillierteren Ebene. Doch wie die
aktuellen Entwicklungen im Bereich der biologischen Vielfalt zeigen, gibt es noch mehr, was wir
bei unseren Anlageentscheidungen berücksichtigen könnten. In dem Maße, wie die politischen,
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bemühungen fortgesetzt werden, um eine grundlegende
Umgestaltung unserer Wirtschaft zu erreichen, wird sich die Art und Weise, wie wir investieren,
zwangsläufig ändern. Biodiversität könnte und sollte hier wegweisend sein.